Till Erdmenger – Businessfotos | Blog

Authentizität im Zeitalter von KI & Co

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Man macht sich ja immer mal Gedanken. Also ich jedenfalls nutze mein Hirn gelegentlich. Und weil ich seit Jahren mit „authentischen Businessfotos“ werbe, habe ich mal überlegt, was ich eigentlich darunter verstehe. Und bin der Frage nachgegangen, ob ich vielleicht Analogfotografie wegen der höheren Authentizität so gerne mag. Um es kurz zu machen: Die Fragestellung ist gar nicht einfach zu beantworten. Jeder Fotograf hat da wahrscheinlich seine eigenen Ethik-Grenzen. Übliches Aufräumen von Innenräumen, die für Kunden fotografiert werden sollen, Einsatz von Puder und angeleitetes Posieren bei Portraitaufnahmen, Optimieren von Farben, Helligkeit und Kontrast, Retouche von Hautunreinheiten oder kleinen, störenden Objekten … all das praktiziere ich für Auftragsarbeiten und auch für private Projekte. Ich sehe darin keine Verletzung von Authentizität.

Anders wird es, wenn fremde Büros für Imagefotos angemietet werden, wenn Models in die Rolle von Mitarbeitenden schlüpfen oder Gesichter ausgetauscht werden sollen. In solchen Fällen lege ich meinen Auftraggebern nahe, über die dann fehlende Authentizität nachzudenken – Kunden oder Geschäftspartner wären sonst irritiert.

Ganz weit weg bewegen wir uns von Echtheit und Ehrlichkeit, wenn Bildelemente ausgetauscht werden, verschwinden oder hinzuerfunden werden. Da setze ich Grenzen. Vielleicht habe ich das Idealbild eines unkorrumpierten Fotoreporters in Kopf … jemand wie Sebastião Salgado oder James Nachtwey.

Wie groß das Problem unechter Fotos ist, wissen wir seit den Anfängen der Fotografie. Schon immer wurde getrickst und retouchiert, um Fotos schöner zu machen oder (politische) Botschaften zu verstärken. Das ist gar nicht der Kern meines Aufsatzes. Aber es macht mich wütend zu lesen, dass zum wiederholten mal gestellte, arrangierte Bilder in Foto-Wettbewerben Preise gewinnen, bei denen es gar nicht um die Prämierung von kommerziell beauftragten Werbefotos geht. Beim World Press Photo Award sind mehrfach manipulierte Fotos eingereicht und ausgewählt worden – und jüngst beim CEWE Photo Award siegte ein Foto, das mutmaßlich aus einem Werbeshooting stammt. Jene Fotografen, die sich auf diese Weise Vorteile zu verschaffen glauben, untergraben in Wirklichkeit das Vertrauen in (Reportage-)Fotos, in Berichterstattung, in Authentizität. Grade wegen dieser Fülle an unechten Fotos und Fake-News ist in jüngster Zeit eine massive Gleichgültigkeit entstanden gegenüber dem Begriff der Wahrheit. Jeder möchte an seine eigene Wahrheit glauben und verwischt damit die Grenzen zwischen Wahrheit und Glaube. Welche politischen Veränderungen das mit sich bringt, sehen wir an den unfassbar hohen Wahlergebnissen rechts-populistischer Parteien, an demokratiefeindlichen Bestrebungen selbst innerhalb scheinbar stabiler Staaten oder der undifferenzierten Relativierung von Hamas-Terror.

Die rapide wachsende Präsenz von KI-Bildern und deren zunehmend perfekte, nicht erkennbare Unechtheit trägt zu diesem Dilemma noch bei. Für die Ausrichter und Juroren eines Foto-Wettbewerbs wird es zunehmend unmöglich, die Authentizität eines Fotos mit Bestimmtheit zu ermitteln. Um dieser Entwicklung entgegenzutreten, haben sich etliche große Unternehmen wie Adobe, Microsoft, Sony oder Leica zur Coalition for Content Provenance and Authenticity (C2PA) zusammengetan. Informationen zu Herkunft und Copyright sollen zukünftig unveränderbar mit der Bilddatei gespeichert werden. Ebenso sollen alle Bearbeitungen auf diese Weise dokumentiert und jederzeit einsehbar sein. Mit der Leica M11-P ist grade die erste Kamera auf den Markt gekommen, die die C2PA-Signatur nutzt. Solche Techniken sind wiederholt entwickelt und auf den Markt gebracht worden – von EXIF-Daten, digitalen Wasserzeichen bis zur Blockchain. Geholfen haben sie bisher in keinem Fall. Ich wünsche mir sehr, dass es diesmal mit C2PA besser funktioniert und wir ein kleines Stück Authentizität zurückgewinnen können.

Ein vollkommen authentisches Analogfoto. Seit jeher integrieren Fotografen den Negativrand, um zu verdeutlichen, dass kein Ausschnitt des Originals gezeigt wird. Was eine KI wohl mit diesem Foto machen könnte? Ich sehe Bonbon-Farben, Leuchtreklame, einen waschechten Straßenkreuzer und eine Automechanikerin in ölverschmiertem Top. Ja, KI ist sexistisch 😉

Ach ja: Warum mache ich analoge Fotos, fragte mich ein alter Freund. Und sind diese Fotos authentischer? Ich kann es nicht beantworten. Ja, diese Fotos sind auf chemischem Weg entstanden, sie sind haptisch erlebbar, sie sind real vorhanden. Sie haben echtes Filmkorn, sie haben manchmal Bildfehler, sind vielleicht weniger scharf oder detailliert. Aber sie fühlen sich echt an! Sie sind mit Bedacht, Wissen und Erfahrung im realen Leben entstanden, sie zeigen einen sekundenkleinen Ausschnitt eines Ortes oder Moments, den ich sehr wahrscheinlich intensiver gesehen habe, als es bei einem Digitalfoto der Fall gewesen wäre. Ob ich damit in die Falle der „geglaubten Wahrheit“ tappe, mag jeder selbst entscheiden – ich aber mag diesen Prozeß einfach sehr gern und arbeite gerne analog. Das ist meta-faktisch … es ist eine emotionale Entscheidung 😉

Antwort auf „Authentizität im Zeitalter von KI & Co”.

  1. Wie leichtgläubig wir doch sind … – Till Erdmenger – Businessfotos | Blog

    […] grade in Bezug auf die Fotografie können Sie meine Überlegungen hier sehen oder hier, hier bzw. hier […]