Hitlisten sorgen ja stets für gute Klickraten. Genauso führen die Verzeichnisse gestorbener Promis vor allem gegen Ende des Jahres in den Klatschblättchen zu hohen Auflagen. An solchen sinnentleerten Nichtigkeiten voller „Tragik“ und Superlative beteilige ich mich ungern – nachdem aber erst vor wenigen Tagen mit Konrad R. Müller und Elliott Erwitt zwei ziemlich bekannte und bedeutende Fotografen gestorben sind, habe ich mal nachgesehen, von welchen anderen Fotografen wir uns in diesem Jahr verabschieden mussten. Man stößt dabei auf ziemlich interessante Charaktere und aufregende, inspirierende Fotografien.
Larry Fink starb vor wenigen Tagen. Er bezeichnete sich einmal selbst als „geborenen Kommunisten“, was wohl vor allem mit seinem Elternhaus zu tun hatte. Dass er unvoreingenommen und „ohne Klassensystem im Kopf“ fotografierte – das glaubt man ihm, wenn man die Fotos aus seinem Buch „Social Grace“ sieht. Auf den Partys der Schönen und Reichen sorgte er mit ungewöhnlichen Bild-Ausschnitten und Beleuchtungen für Aufsehen. Mehr lesen und sehen Sie bei Monopol oder Blind.
Der Niederländer Erwin Olaf Springveld, der als Erwin Olaf Karriere machte, war mir bisher unbekannt. Neben erfolgreichen Kampagnen für große Firmen war Olaf vor allem für seine Fotos aus der queeren Community bekannt. Viele seiner Bilder scheinen streng choreographiert zu sein. Ich erwähne ihn aus einem ganz speziellen Grund: Viele von uns haben eines seiner Werke schon in der Hand gehabt – denn Olaf entwarf 2014 die niederländische Euromünze.
Robert Conrad wuchs in Rostock auf und dokumentierte über viele Jahre den Zustand und Verfall von Architektur. Mit seinem Faible für „Kulturlandschaften“, zu denen er vielfach die Plattenbauten aus DDR-Zeiten zählte, ist mir Conrad sehr sympathisch. Wer regelmäßig meinen Blog liest, hat in letzter Zeit ebenfalls öfter Architekturfotos gesehen, die sich mit der Art und Weise, wie wir leben, beschäftigen. Über den Fotografen erfährt man mehr auf seiner Webseite oder in einem Nachruf der Berliner Zeitung.
Geschichte schrieb Joyce Dopkeen in meinem Geburtsjahr 1973, als sie die erste festangestellte Fotografin bei der New York Times wurde. Man muss sich einmal vorstellen, wie schwierig und offenbar abwegig es noch zu dieser Zeit war, dass Frauen als Fotografinnen akzeptiert oder erfolgreich waren (ich denke jetzt an Vivian Maier). Dopkeen fasste die (journalistische) Bedeutung von Fotografie treffend zusammen: Ein Foto hält einen Moment für immer fest, anders als ein Artikel, den man editieren und ändern kann. Wenn das Foto fehlt, gibt es nichts zu zeigen. Zwei Artikel zum nachlesen finden Sie hier und hier.
Auch zu Dorothy Bohm habe ich eine emotionale Verbindung – sie wurde, wie meine Mutter, in Königsberg geboren. Bohm entstammte einer jüdischen Familie mit Wurzeln in Litauen und wurde mit 14 Jahren von ihrer Familie nach England geschickt, um der Verfolgung durch die Nazis zu entkommen. Auf ihre Reise gab ihr Vater Dorothy eine Leica mit – ein wertvolles Geschenk, dass ihren Lebensweg zeichnen würde. Bohm arbeitete ihr Leben lang als Fotografin: „Die Fotografie erfüllt mein tiefes Verlangen, Dinge vor dem Verschwinden zu bewahren“. Der Beitrag von Culture Trip stammt noch von 2017, auf ihrer Webseite finden sich noch mehr faszinierende Fotos.
Mein Beileid gilt allen, die mit den Verstorbenen verwandt und befreundet waren. Schade, dass mit dem Tod dieser Fotografinnen und Fotografen manche Dinge für immer unfotografiert bleiben werden.
Das Titelfoto habe ich übrigens vor etlichen Jahren auf dem beeindruckenden Krupp-Friedhof in Essen gemacht.

