Im vergangenen Sommer habe ich bereits die Europawahl einer ästhetischen Betrachtung unterzogen – und finde es spannend, dies anlässlich der bevorstehenden Bundestagswahl zu erneuern. Was wir derzeit erleben, sind politisch ziemlich aufgewühlte Zeiten – leidet darunter auch die Ästhetik?
Vorab: Definitiv wird der Wahlkampf aufgrund der überkochenden Politik grade schmutzig. Umso beachtlicher finde ich, dass die Wahlplakate und Webseiten der Parteien klassisch-unaufgeregt gestaltet sind. Insofern kann man gleich festhalten: Die Ästhetik leidet grade weniger als die Inhalte.
Die Merz-Union (C und D muss man ja derzeit streichen) präsentiert ein handwerklich gut gemachtes Foto, auf dem der Kandidat uneingeschränkt sympathisch wirkt. Sauber gearbeitet, schönes Bokeh, nur die Krawatte sitzt leicht schief. Über das merkwürdige „Umfrage-Balken-Logo“ hatte ich mich im Sommer schon gewundert. Inhaltlich werden dann aber doch Fragen aufgeworfen: Deutschland soll wieder „vorne“ sein, „wir“ sollen „wieder“ stolz sein können – das klingt schon ziemlich trumpistisch nach „Make Germany stolz again“, und Stolz ist ja etwas eher Narzisstisches. Das passt dann natürlich sehr zum Kandidaten.

Auch bei der SPD wird „Germany“ groß geschrieben – kommt nach der Wähleransprache aber erst an zweiter Stelle. Überragt nur noch von Scholz statt Stolz. Auch hier finden wir ein formal gelungenes (Studio-)Portrait des Kandidaten, der vielleicht etwas weniger sympathisch, dafür aber entschlossen aussieht. Von der Deutschland-Fahne nimmt natürlich der rote Teil den meisten Platz im Hintergrund ein, wie könnte es bei der SPD auch anders sein. Und „Mehr für Dich“ wird zwar erst im weiteren Text mit Beispielen gefüttert, klingt irgendwie aber trotzdem konkreter als die „Prahlsucht“ bei der CDU.

Die Grünen zeigen ihren Kandidaten sehr nahbar. Politik am Küchentisch war ja auch mal Habecks Motto. Ästhetisch gibt es auch hier wenig zu meckern: Natürliches Licht, durch das Bokeh eine gute Fokussierung auf die Person, private Umgebung (wenn auch gefühlt eher „Upper-class“). Habeck wirkt allerdings weder besonders sympathisch, noch entschlossen. Eher bedrückt und zweifelnd, die Stirn in Falten gezogen. Das hätte man besser lösen können. Ebenso den Slogan, der vielleicht zuviel philosophischen Interpretationsspielraum lässt. Man muss sagen: Die Habeck-Plakate sind besser als die Webseite. Habeck vor Grün, „Zuversicht“ im Slogan und in der Mimik – das passt viel besser.

Die FDP schließt nahtlos an ihre Ästhetik der vergangenen Jahre an: Gelb, Pink und Hellblau quitschen ziemlich laut und werden von Schwarz-Weiß-Fotos heruntergekühlt. Ich mag solche Fotos ja wirklich gerne. Aber wie Lindner uns hier anstarrt – das wirkt ein bißchen beängstigend. Diese „big brother is watching“-Gestaltung passt mal gar nicht zu einer „liberalen“ Partei. Dass dann ausgerechnet die FDP, die in den vergangenen Jahren erfolgreich in der Regierung opponiert hat, nun für einen „grundlegenden Politikwechsel“ stehen soll, halte ich allerdings für erklärungsbedürftig.

Die Linke macht nicht mit bei der inflationären Aufstellung von Kanzlerkandidaten und zeigt konsequenterweise einen Schnappschuss ihres Führungsduos. Das wirkt lebendig und mittendrin, erfüllt aber keinen höheren künstlerischen Maßstab. Ich finde, die Partei macht sich mit dieser Gestaltung kleiner als nötig – sie ist ja nicht gesichtslos. In einem Wahl-Spot treten Gysi und Ramelow neben der Parteispitze ja auch auf. Dafür gibt es immerhin markante Sprüche zuhauf, die wirklich pointiert sind. Wie erfolgreich man Veränderung herbeiführt, wenn man nicht regieren will, müssen uns die Linken aber noch erklären 😉

Mit Frau Wagenknecht hatte ich lange ein orthografisches Problem – jetzt weiß ich, was der Fehler ist: Da fehlt ein „a“. Dann heißt es Sahara. Erstaunlicherweise kommt die Dame dann nur ganz leicht dröge rüber. Das Foto stammt aus demselben Shooting wie damals bei der Europawahl. Und es ist wirklich ein sauberes, sympathisches Studioportrait mit guter Lichtführung. Das Bündnis hat aber in ästhetischer Richtung noch etwas vages. Da ist viel Schwarz. Da ist Orange, aber es verläuft ins Gelb. Die Partei hat noch immer keinen handelsüblichen Namen. Statt eines Slogans sehen wir das Datum der Wahl. Das wirkt alles unfertig. Inhaltlich wurde allerdings in den jüngsten Abstimmungen eine politische Linie sichtbar.

Da dieser Blog frei von rechtspopulistischem Gesülz und KI-erzeugten Klischees bleiben wird, erscheint hier kein Plakat der AfD. Deren Kandidatin ist natürlich ebenfalls fotografiert worden – handwerklich ok, das Haarlicht wirkt dabei etwas altbacken und das freundliche Lächeln sieht nicht vertrauenserweckend aus. Man fragt sich, warum Menschenmassen von selbsternannten Führern immer wieder so fasziniert sind, die ihnen das Hellblaue vom Himmel versprechen. Warum finden solche Arschlöcher immer wieder Dumme, die ihnen blind folgen? Wenigstens wäre das Kürzel nun erklärt.

Wie auch bei meinem Beitrag über die Europawahl möchte ich ergänzen: Im Gegensatz zu diesem nicht ganz ernst gemeinten Artikel ist es äußerst wichtig, an demokratischen Wahlen teilzunehmen und sie ernst zu nehmen. Gehen Sie am 23. Februar wählen! Und auch bei allen anderen anstehenden Wahlen! Bedenken Sie mögliche Konsequenzen für sich selbst, wenn Sie der Meinung sind, mit ihrer Wahl einen „Protest“ ausdrücken zu wollen. Vertrauen Sie nicht ausschließlich auf die Slogans der Parteien oder Meinungen, die auf Ihn Social-Media-Kanälen verbreitet werden. Informieren Sie sich bei unabhängigen Medien über die politischen Ziele der Parteien. Nutzen Sie gegebenenfalls auch den Wahlomat. Danke!


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