Wer sich an einer Einordnung des Kriegs im Gazastreifen versucht, kann eigentlich nur verlieren. Zu vielschichtig, zu historisch, zu komplex ist der Konflikt. Dass die Menschlichkeit – wie in jedem Krieg – schon längst verloren hat, steht außer Zweifel. Wie wichtig es in diesem Zusammenhang ist, sich dennoch „ein Bild“ des Konflikts zu machen, darüber gab es in den vergangenen Tagen mehrere sehr lesenswerte Artikel.
In der ZEIT äußert sich dazu Steffen Siegel. Er unterrichtet als Professor für Theorie und Geschichte der Fotografie an der Folkwang Universität der Künste in Essen:
Bilder von Leid und Not begegnen uns täglich. Besonders Aufnahmen wie die eines unterernährten Kindes bewegen uns zutiefst – und dennoch bleiben sie oft ohne den nötigen Kontext. Was wir sehen, ist zutiefst emotional, aber selten informativ: Die Symbolkraft verdichtet komplexe Konflikte, anstatt sie verständlich zu machen.
Früher prägten journalistische Fotografien ganze Generationen. Während des Zweiten Weltkriegs waren Fotos aus Magazinen wie „Life“ für viele die prägendste Informationsquelle über das Geschehen in Europa. Doch heute begegnen uns solche Bilder beiläufig, eingebettet zwischen Werbung und harmlosen Clips. Im Zeitalter sozialer Medien ist jeder zum Bildverbreiter geworden, der redaktionelle Filter fehlt meistens. Das führt dazu, dass Leid, Zerstörung oder Hunger in unmittelbarer Nachbarschaft zu Alltagsbanalitäten stehen – und so an Schärfe verlieren.
Gleichzeitig sorgt die Verbreitung gefälschter oder KI-generierter Bilder dafür, dass unser Vertrauen in die Kraft des Bildes immer weiter sinkt. Ein allgemein gültiges Verständnis für die Aussagekraft von Bildern existiert kaum noch – heute braucht es mehr denn je Medienkompetenz und kritischen Umgang mit Bildmaterial.
Immer mal wieder aber gibt es Bilder, die nachhallen. Etwa, wenn sie das nackte Überleben zeigen, wie etwa die Kämpfe um Lebensmittelrationen in Gaza. Sie lassen uns spüren, was Zahlen und Nachrichten oft nicht schaffen: die existenzielle Not realer Menschen.
Doch unser Umgang mit diesen Bildern bleibt zwiespältig: Wir konsumieren sie oft beiläufig, gönnen uns kaum die Zeit, innezuhalten. Vielleicht sollten wir öfter fragen, was wir wirklich sehen – und wie wir Verantwortung im Umgang mit dem Leid anderer übernehmen können.
In einem Artikel der TAZ greift der Autor dasselbe Thema auf und bezieht sich in Teilen sogar auf Beiträge der ZEIT. Nicholas Potter schreibt:
Die Bilder aus Gaza gehen um die Welt: Eine Mutter hält ihren völlig abgemagerten Sohn im Arm, sein Anblick erschüttert und lässt niemanden kalt. Doch so eindringlich solche Fotos sind – oft fehlt der entscheidende Kontext. Im Fall des kleinen Mohammed Zakaria al-Mutawaq, der weltweit als „Symbolbild“ des Hungers gezeigt wurde, sind wichtige Details meist untergegangen: Das Kind leidet nicht nur an akuter Mangelernährung, sondern auch an schweren Vorerkrankungen, die seinen Zustand verschlimmern. Trotzdem wurde sein Bild zur vermeintlichen Ikone des Hungers stilisiert.
Gerade im Krieg wird mit Bildern gekämpft. Fotos werden retuschiert, manipuliert, aus dem Zusammenhang gerissen – oder per KI komplett gefälscht. Bilder aus anderen Kriegen werden fälschlich Gaza zugeordnet und echte Aufnahmen als Inszenierungen diskreditiert. Die Folge: Eine Welle der Desinformation erschwert es, die Wirklichkeit hinter den Bildern einzuordnen.
Doch gerade das macht Faktentreue so wichtig. Viele Redaktionen fanden sich gezwungen, Bildunterschriften und Berichte nachträglich zu korrigieren, nachdem Kritik laut wurde. Fakt ist: In Gaza leiden zahllose Menschen Hunger; Kinder sind besonders betroffen. Aber: Unterernährung und Not sehen selten so aus, wie ein einzelnes Bild suggeriert.
Die Macht der Fotos ist zugleich ihre Schwäche: Sie erzeugen Empathie, können aber auch instrumentalisiert und missverstanden werden. Ohne Kontext, ohne genaue Fakten geraten selbst authentische Bilder in Verruf. Der Ruf nach mehr Fact-Checking in den Bildredaktionen wird lauter.
Denn gerade in Krisen und Kriegen sind seriöse Medien gefordert, mit Bildern verantwortlich umzugehen – damit sie nicht zur Waffe in der Auseinandersetzung werden, sondern zur Hilfe für Verständnis und Menschlichkeit beitragen.
Man kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass nicht nur die Konflikte selbst komplex sind, sondern auch die Art und Weise, wie darüber berichtet wird, was wir davon sehen und wie wir das Gesehene einschätzen können. Dass dies Thema von Artikeln in den Medien ist, beruhigt. Bilder haben eine immense Macht – laden aber zu Mißbrauch ein. Bilder können noch so authentisch sein – entscheidend ist, dass wir uns nicht mit dem stumpfen Konsum zufrieden geben, sondern hinterfragen, was uns gezeigt wird – und warum.
Mich interessiert, wie Sie die angesprochene Problematik wahrnehmen – stumpfen die vielen Bilder aus dem Krieg ab? Müssen wir im Gegenteil noch mehr davon sehen, weil sie zu oft in beliebigem Kontext untergehen? Vertrauen Sie Nachrichtenbildern schon gar nicht mehr, weil es zu schwierig ist, echte von erfundenen zu unterscheiden? Vertrauen Sie der Verantwortlichkeit von Bildredaktionen oder scrollen Sie für die täglichen News nur noch durch TicToc? Schreiben Sie mir und lassen Sie uns darüber diskutieren!
Für größtmögliche Transparenz möchte ich ergänzen, dass ich die Zusammenfassungen der beiden Zeitungsartikel mithilfe einer KI erstellt habe. Das ikonische Titelbild zeigt das Hissen der sowjetischen Flagge auf dem Reichstag 1945. Fotografiert von Yevgeny Khaldei. Quelle: Wikimedia. Lizenziert unter Creative Commons Attribution 4.0 International license.


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