Till Erdmenger – Businessfotos | Blog

Selbstbefreiung aus der gestalterischen Askese

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Reduce to the max, weniger ist mehr, form follows function: Diese goldenen Regeln der Gestaltung haben sicherlich nach wie vor Geltung. Im Hinblick auf die Architektur unserer Zeit hingegen scheint dieses Regelwerk zu einer Askese zu führen, die etwas wichtiges außer Acht lässt: Die Emotion.

Architektur hat mich schon früh in meinem Leben interessiert, sie war zeitweise mein Berufswunsch. Auch als Fotograf finde ich Architektur oft sehr inspirierend und nutze die Linien, Kanten und Flächen von Gebäuden für meine Foto-Projekte. Ein Artikel in der ZEIT fand daher meine Aufmerksamkeit – er beschäftigt sich nämlich mit dem Zustand moderner Architektur. Ich fasse kurz zusammen:

Auf Baustellen werden regelmäßig Mängel dokumentiert – technische Fehler, Ausführungsprobleme, Verzögerungen. Was jedoch kaum zur Sprache kommt, ist ein anderer, grundlegender Mangel: der Mangel an Gestaltung und Schönheit.

In vielen Neubaugebieten dominiert heute eine monotone Architektur. Gleichförmige Baukörper, weiße Fassaden, dunkle Rahmen – das Ergebnis ist eine städtebauliche Uniformität, die weder Identität noch Aufenthaltsqualität vermittelt. Paradoxerweise scheinen die Bauten umso anspruchsloser, je höher die Baukosten steigen.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass auch großmaßstäbliche Bauprojekte architektonisch überzeugend sein können. Gründerzeitquartiere mit ihren Schmuck- und Stuckfassaden wurden in kurzer Zeit und nach standardisierten Mustern errichtet – dennoch wirken sie bis heute lebendig und bleiben besonders beliebt. Sie zeigen, dass Funktionalität und gestalterischer Anspruch kein Widerspruch sein müssen.

Der heutige Funktionalismus dagegen wird oft missverstanden: Ursprünglich wollten Moderne und Bauhaus nicht zu asketischer Leere führen, sondern durch klare Formen, Lichtführung und Raumwirkung neue Qualitäten schaffen. Dieses Anliegen ist im aktuellen Wohnungsbau kaum noch erkennbar.

Die Herausforderung liegt darin, Architektur wieder als mehr zu begreifen als bloße Zweckbauten. Gefragt sind Entwürfe, die Atmosphäre, Geborgenheit und Eigenart ausstrahlen – und damit Räume schaffen, die nicht nur funktional, sondern auch identitätsstiftend sind.

Man möchte ergänzen, dass die beliebten Gründerzeitbauten mit Sicherheit auf der Basis von Ausbeutung derart verschwenderisch verziert gebaut werden konnten. Und dass sie häufig noch Etagenklos hatten. Das aber nur am Rande. Der springende Punkt ist: Wer in der Gestaltung derart reduziert, dass keine Emotion mehr aufkommt, keine Begeisterung – der hat seine Aufgabe verfehlt. Vielleicht ist das (um den Bogen zur Fotografie zu spannen) auch ein weiterer Punkt, weshalb mir die Analogfotografie so am Herzen liegt. Weil sie Emotionen weckt, weil sie (mich) begeistert. Und das unabhängig von vielleicht stilisierten Motiven. Als Gestalter von Fotos sollten wir diesen Punkt nicht vergessen – eine zu starke Reduktion auf technische Perfektion, auf Klischeebilder oder sogar KI-erzeugte Bildchen lässt zu wenig Platz für Gefühle und Echtheit.

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