Die Frage, ob Pferde im Galopp irgendwann mit allen Hufen zugleich vom Boden abheben, dürfte schließlich zur Erfindung eines uns allen bekannten Mediums geführt haben – dem Kino.
Auch wenn wir heute lieber streamen, als uns mit einer Tüte Popcorn ins Kino zu setzen – bewegte Bilder sind aus unserem Leben nicht wegzudenken. Ob Netflix-Serie, Insta-Reel oder selbstgedrehtes Katzenvideo: Film ist überall.
Ganz wesentlich verbunden mit dem Bewegtfilm ist der Name Eadweard Muybridge. Der 1830 in England geborene Buchhändler kam 1850 im Auftrag seines Arbeitgebers in die USA. Dort befreundete er sich rasch mit einem Fotografen, Silas Selleck, der zu dieser Zeit Daguerreotypien herstellte. Nach einem schweren Unfall und mehreren Jahren der Rekonvaleszenz in England kehrte Muybridge 1867 in die USA zurück. Zu diesem Zeitpunkt hatte er den Beruf gewechselt und war nun Fotograf. Mit einer Pferdekutsche, die seine mobile Dunkelkammer war, zog er durchs Land. 1872 arbeitete er für den Eisenbahnunternehmer Leland Stanford, den die Eingangsfrage beschäftigte: Können Pferde fliegen? Muybridge sollte es herausfinden, indem er ein Pferd im Galopp fotografierte.
Zu jener Zeit war das fotografische Material ziemlich niedrigempfindlich – lange Belichtungszeiten waren deshalb normal. Allein die Herausforderung, ein galoppierendes Pferd zu fotografieren, war fast unmöglich, da man für ein scharfes Foto eines bewegten Objekts eine ziemlich kurze Belichtungszeit benötigt. Die damaligen Kameras hatten keine Verschlüsse, wie wir sie kennen: Die Belichtung wurde hingegen vom Fotografen durch das Entfernen und Anbringen eines Deckels vor dem Objektiv gesteuert.
Muybridge nahm die Herausforderung an und kam auf die kühne Idee, gleich 12 Kameras zu benutzen, um den Bewegungsablauf des Rennpferds festhalten zu können. Die Kameras wurden mit einem einfachen mechanischen Verschluss bestückt und durch dünne Fäden ausgelöst, die das Pferd im Vorbeigaloppieren zerriss.
Eadweard Muybridge revolutionierte die Fotografie mit seinen berühmten Pferdefotos und legte damit zugleich den Grundstein für die Entwicklung des Kinofilms.

Die Fotoserie mit dem Pferd „Sallie Gardner“ bewies: Ja, für einen Moment sind alle vier Hufe in der Luft — allerdings anders als viele Illustrationen es bis dahin darstellten, nämlich wenn die Beine unter dem Körper versammelt sind. Diese Serie, „The Horse in Motion“, war eine technische und künstlerische Sensation und veränderte das Verständnis von Bewegung – sie gilt heute als Meilenstein der Fotografiegeschichte.
Muybridges Arbeit inspirierte den französischen Physiologen Étienne-Jules Marey. Während Muybridge Bildszenen separat mit mehreren Kameras aufzeichnete, entwickelte Marey eine Chronofotografie-Kamera, die mehrere Einzelbilder auf eine einzige Fotoplatte brachte. Marey erfand das „Fotogewehr“, mit dem Bewegungsabläufe wie der Vogelflug in schnellen Bildfolgen analysiert werden konnten. Später ersetzte er die Glasplatten durch flexibles Filmmaterial und schuf damit einen Apparat, der den modernen Filmkameras schon sehr nahe kam. Mareys Innovationen mit Schlitzscheibe, Handkurbel und Filmband gelten als technische Grundlage für die Cinematografie.
Die fotografischen Experimente von Muybridge und Marey gehen weit über die Reitkunst hinaus: Sie zeigten erstmals, wie einzelne, schnell aufeinanderfolgende Fotos eine Bewegung sichtbar und analysierbar machen. Bildreihen mit Vögeln und Menschen folgten. Dies motivierte Marey und andere Erfinder, Bildreihen in Filmsequenzen zu verwandeln. Dank der von Marey weiterentwickelten Filmtechnik wurden aus Standbildern bewegte Bilder – die Geburtsstunde des Films war eingeläutet. Muybridges und Mareys künstlerische und technische Pionierarbeit inspirierte nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Kunst und die frühen Filmexperimente.
Fazit: Die Wegbereiter des Kinos
Muybridges berühmte Pferdefotos gaben den entscheidenden Anstoß für die Erfassung von Bewegung und den Beginn des Films. Im Zusammenspiel mit Mareys technischen Weiterentwicklungen entstand das, was heute selbstverständlich erscheint: Das bewegte Bild als kulturelles und wissenschaftliches Medium. Den historischen Meilenstein setzte die öffentliche Vorführung des Cinématographen durch die Brüder Lumière am 28. Dezember 1895 im Grand Café in Paris: Gezeigt wurden zehn Kurzfilme, darunter das berühmte „Die Ankunft eines Zuges im Bahnhof La Ciotat“. Diese Veranstaltung gilt als Geburtsstunde des Kinos. Schon kurz nach 1900 entwickelte sich eine riesige Filmindustrie mit eigenständigen Genres und technischen Innovationen, darunter der Stummfilm und ab Ende der 1920er Jahre der Tonfilm.



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