Lange Zeit fristeten die oft unscheinbaren Fotoautomaten ein wenig beachtetes Dasein. Manchmal sah man sie, manchmal brauchte man sie – wenn beispielsweise neue Passbilder fällig waren. Aber wirklich wichtig sind sie schon längere Zeit nicht mehr – Polaroids machten schon vor Jahrzehnten ebenfalls Fotos auf die Schnelle und Smartphones sind heute überall dabei, um Selfies zu schießen.
Auf dem Weg zu einem Wochenende in Barcelona blätterte ich zufällig im Bordmagazin und fand einen interessanten Artikel über Rafael Hortala Vallve, gebürtiger Katalane und bis vor kurzem Professor für Politik an der London School of Economics. Vor etwa 6 Jahren richtete sich Vallve eine Werkstatt ein, in der er alte Fotoautomaten restauriert. Auf die Frage, was ihn zu dieser ungewöhnlichen Arbeit motiviert, antwortet er:
Die schwarz-weißen Bilder haben einen besonderen Charme. Im Vergleich zu heutigen Selfies sind sie weniger gestellt und können nicht nachbearbeitet werden. Jedes Bild ist einmalig. Viele Jüngere kennen nur noch die digitalen Apparate, in denen man das beste Bild aussuchen und entwickeln lassen kann. Manche Leute suchen in unseren Fotoautomaten nach dem Touch-Screen oder tippen auf die Glasscheibe.
Der Fotoautomat blickt auf eine erstaunliche Geschichte zurück, die vor 100 Jahren begann. Sie ist eng mit gesellschaftlichem Wandel und technischer Innovation verbunden.

Die Geburt der automatischen Porträtfotografie
Im Jahr 1925 wurde in New York die erste vollautomatische Fotokabine von Anatol Josepho eröffnet, einem russischen Einwanderer mit großer Leidenschaft für die Fotografie. Nach Jahren des Experimentierens und der Suche nach Investoren gelang ihm mit dem „Photomaton“ eine kleine Revolution: Endlich konnten Menschen ihre eigenen Porträts anfertigen, ganz ohne den Anweisungen eines professionellen Fotografen folgen zu müssen. Die Fotokabine stand am Broadway, und der Andrang war riesig – täglich bildeten sich lange Schlangen und bereits in den ersten Monaten ließen sich Hunderttausende porträtieren.
Intime Freiheit hinter dem Vorhang
Der Automat bot den Nutzern erstmals einen wirklich privaten Raum für individuelle Fotos. Der Vorhang in der Kabine schuf Intimität und ermutigte dazu, ungezwungen zu experimentieren – von Grimassen bis hin zu liebevollen Paarporträts. So entstanden kontrastreiche Bilder, die sich deutlich von den steifen Studiofotos der Vergangenheit abheben.

Eine weltweite Erfolgsgeschichte
Der Siegeszug des Fotoautomaten war unaufhaltsam: Anatol Josepho verkaufte bereits 1927 sein Patent und die Rechte für eine Million Dollar – damals eine gigantische Summe. Das neue Eigentümerkonsortium, dem auch Franklin D. Roosevelt angehörte, forcierte die Expansion; bald tauchten Fotoautomaten in vielen Ländern auf, später auch in Europa und Deutschland.
Technische Entwicklung und frühe Vorläufer
Zwar gab es schon vor 1925 Automaten, die Fotos auf Metallplatten belichten konnten, vor allem in Paris und Hamburg. Doch erst Josephos Idee eines komfortablen, münzbetriebenen Serienbild-Automaten in einer Kabine mit Vorhang setzte sich international durch und prägt bis heute das Bild des „klassischen Fotoautomaten“.

Der Fotoautomat als Freizeitspaß und Kultobjekt

Mehr als nur ein Werkzeug für Passbilder, wurde der Fotoautomat rasch zur Bühne für persönliche Erinnerungen und kreative Selbstdarstellung. In Filmen, Kunstwerken und auf Events spielt die Kabine seit dem 20. Jahrhundert bis heute eine besondere Rolle – etwa als Vorlage für Gemälde von Andy Warhol oder als Highlight auf Hochzeiten und Firmenfeiern. Auch nach hundert Jahren steht der Fotoautomat damit für gelebte Alltagsgeschichten, für Spaß, Spontanität und die Freude am Moment.
Rafael Hortala Vallve hat inzwischen 17 Stück davon wieder flott gemacht. Die meisten stehen in seiner Heimatstadt London, 5 Knipskisten stehen in Barcelona, unter anderem in der Ocaña Bar – einer wunderschönen Location ganz in der Nähe der Ramblas. Die Automaten sind mechanische Wunderwerke, die komplett analog funktionieren: Die Fotos werden auf einen Filmstreifen belichtet, der innerhalb von rund 6 Minuten im Innern des Gerätes entwickelt wird. Seine Frau Corinne, selbst Fotografin, erklärt den neuen Erfolg der restaurierten Photomatons:
Wir haben gemerkt, dass es da ein Verlangen nach dem Analogen und Authentischen gibt, das in den Schwarz-Weiß-Bildern und in den Maschinen selbst steckt. Ich glaube, die Menschen möchten wieder mehr Echtes erleben und weniger in der digitalen Welt leben.
Wir haben den „Autofoto“ natürlich auch gleich vor Ort ausprobiert und den Spaß nachempfinden können, der sich seit 100 Jahren in einer kleinen Kabine hinter einem unscheinbaren Vorhang breit macht, wenn das erste Foto vollkommen unerwartet belichtet wird und man sich anschließend in Pose begibt. Ein schöner Artikel ist übrigens auch im schweizerischen „Blick“ dazu erschienen.
Ich habe an diesem Wochenende in Barcelona meine kleine Leica CL mit dem 40mm-Summicron dabei gehabt und ein paar Farbfotos geknipst. Der Film hat den seltsamen Namen Aeronega – ein Filmmaterial, das ursprünglich für Überwachungsaufnahmen aus der Luft konzipiert wurde. Tonalität, Farbe und Auflösung gefallen mir erstaunlich gut! Ein paar Fotos hänge ich hier an:













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