Till Erdmenger – Businessfotos | Blog

Trumps Bluthunde auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten

Nachdem ich las, dass der präsidiale Erpel Donald künftig von allen Einreisewilligen höchstpersönlich die Social Media Beiträge der zurückliegenden 5 Jahre prüfen will, um sicherzugehen, dass man keine ungebetenen Kommentare abgesondert hat, dachte ich mir: Dann kann ich getrost auch diesen Beitrag veröffentlichen – ich komme sowieso nicht rein.

Vor wenigen Tagen veröffentlichte das Magazin Vanity Fair einen umfangreichen Artikel über das Kabinett Trump. Soweit ich erfahren konnte, ist das eine gute Tradition der Zeitschrift und in den vergangenen Jahren wurde dafür gerne die Modefotografie-Ikone Anne Leibovitz gebucht. In diesem Jahr wurde der Fotograf Christopher Anderson beauftragt. Der VF-Artikel fiel mir zunächst in anderem Zusammenhang auf, denn mehrere deutsche Medien berichteten über die anscheinend schockierend offenen Ansichten der Stabschefin Susie Wiles über ihren Boss: Er habe die Persönlichkeit eines Alkoholikers. Und sein Vize sei seit vielen Jahren ein Verschörungstheoretiker.

Erst einen Verschlussvorhang später brach sich die Ungeheuerlichkeit der Andersonschen Fotos Bahn: Sie seien ein Schreckmoment, diabolisch oder einfach schlecht gemacht, hieß es von verschiedensten Seiten.

Der Fotograf Anderson war mit bislang unbekannt, deshalb suchte ich Infos über ihn und fand heraus, dass er in den vergangenen 25 Jahren häufig dokumentarisch-journalistisch in Krisengebieten arbeitete, haitianische Flüchtlinge begleitete, ein erfolgreiches Buch über Chavez´ Venezuela veröffentlichte und zeitweise für die Agentur Magnum arbeitete. Heute arbeitet er übergreifend in verschiedenen Genres und fotografiert auch Promis.

Screenshot von der Vanity Fair Webseite

Was macht seine Fotos der Trumpschen Bluthunde so aufsehenerregend? Zum einen sind es die extremen Nahaufnahmen, die bildfüllenden Gesichter. Dann kommt ein recht grelles und hartes Licht dazu (die Positionierung der Lichtquelle leicht unterhalb der Augenhöhe wird seit jeher als diabolisch konnotiert) sowie die Tatsache, dass Anderson seine Fotos offenbar nicht „verschönert“ hat. Er hat also bewußt auf die Beautyretusche verzichtet. Keine weichgezeichnete Haut. Die Einstiche der Botoxnadel an den Lippen sichtbar, genauso der verschmierte Lidschatten. Hier hält uns jemand einen Spiegel vor Augen: Wir sind es gar nicht mehr gewöhnt, unretouchierte Fotos zu sehen.

In einem Beitrag auf Petapixel wird beschrieben, diese Art der Fotografie sei ein Markenzeichen Andersons. Eine offizielle Webseite des Fotografen fand ich nicht, aber seine Insta-Page zeigt neben solchen Close-Ups auch viele andere Motive. Jene Nahaufnahmen dort sehen auch weniger schroff aus – Christopher kann also durchaus verschiedenartige Fotos machen. Dennoch hat er sich dafür entschieden, das US-Kabinett „ungeschminkt“ abzulichten. Warum?

Die Porträts provozieren zunächst mit ihrer radikalen Nähe – aber mit etwas Überlegung kennen wir ähnliche Bilder auch von Jim Rakete oder Platon (Portraits of Power). Alle drei nutzen das Close-up als Waffe gegen politische Inszenierung, unterscheiden sich aber markant in Haltung und Wirkung: Von respektvollem Dialog über ikonische Verdichtung bis hin zu Andersons gnadenloser Entzauberung.

Jim Rakete porträtiert Mächtige oft in reduzierten Schwarzweiß-Aufnahmen: nah, aber mit Umraum, kontrolliertem Licht und auf Augenhöhe – eine klassische Charakterstudie ohne Bloßstellung. Seine Ästhetik öffnet Vertrauensräume, entzaubert nicht, sondern beobachtet.

Platon verdichtet Weltführer zu ikonischen Frontalporträts – frontal, grafisch, ambivalent nutzbar für Propaganda oder Kritik. „Erst verstehen, dann urteilen“ lautet sein Credo; die Nähe schafft Ikonen, keine Irritationen.

Andersons Attacke: Zu nah für Komfort

Christopher Andersons Serie bricht mit dem üblichen PR-Glanz durch extrem texturierte Close-ups, die die Poren, Falten und das Make-up betonen – leicht klaustrophobisch und bewusst irritierend. Das Team des Weißen Hauses kritisiert dies erwartungsgemäß als Demütigung, Anderson sieht darin eine „Wahrheit jenseits des Theaters“.

Anderson radikalisiert, was Rakete und Platon andeuten: Die Nahaufnahme ist bei ihm ein Skalpell, das die Macht von ihrer Inszenierung häutet. Ist das künstlerische Kritik oder kalkulierter Skandal? Ich vermute, es war eine wohl-überlegte, kreative Entscheidung und mit der Redaktion im Vorfeld abgesprochen. Natürlich können Vanity Fair und genauso der Fotograf die weltweite Publicity gebrauchen, natürlich muss heute so etwas „viral gehen“ (was für ein scheußlicher Begriff!). Aber es ist auch kongruent mit der weitverbreiteten Wahrnehmung dieser MAGA-Truppe – dass da irgendwas nicht stimmt, irgendwas falsch ist, dass hinter der monströs-obszönen Politik monströs-hässliche Fratzen stecken. Dass da nichts zu beschönigen ist. Das darf Anderson, er ist Künstler. Anders als im Mittelalter muss heute ein Künstler nicht mehr mit Kerker oder Schafott rechnen, wenn der Majestät das auf Leinwand gepinselte Bildnis nicht gefällt. Und wenn man mal die Fotos in Ruhe betrachtet, stellt man fest: Nicht nur auf den Close-Ups wirken die Protagonisten entstellt. Starre Blicke, linkische Handbewegungen, entgleiste Betonfrisuren … man spürt förmlich die angespannte Stimmung, eine gewisse Feindseligkeit, das Fehlen der sonst für diese Typen typischen, selbstsicheren Überheblichkeit. Dieser Blick hinter die Fassade ist dem Fotografen meisterlich gelungen. Glückwunsch!

Die Fotos von Christopher Anderson können Sie auf den verlinkten Seiten und wahrscheinlich in etlichen weiteren Artikeln sehen. Wie auch in anderen Beiträgen auf meinem Blog achte ich das Urheberrecht und verzichte daher darauf, die Fotos hier zu zeigen. Als Beitragsbild habe ich deshalb einen Ausschnitt eines meiner eigenen Fotos verwendet – meine Nachbearbeitung imitiert den Look von Andersons Fotos natürlich bewußt.

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