Habe ich Ihre Aufmerksamkeit? Gut. Es dürfte allen Lesern vollkommen klar sein, dass es keine endgültige, vollständige Auflistung aller Tips geben kann, die zuverlässig zu perfekten Fotos führt. Fotografie ist eine Reise, man mäandert von Thema zu Thema, probiert Techniken und Stile und sucht die packenden Motive für herausstechende Fotos. Von der Erwartung, kontinuierlich perfekte Fotos zu schießen, sollte man sich in einer Art frei machen, die zugleich eben nicht in Belanglosigkeit und Mittelmäßigkeit führt.
Auf seinem Kanal The Photographic Eye fragt sich Alex Kilbee, ob die Fixierung auf Technik nicht Ängste auslöst und den Fotografen in seiner Kreativität behindert. Kilbee meint, es sei sinnvoll, sich vom Anspruch auf technische Perfektion zu befreien, um emotional ansprechende Bilder zu machen. Wir kennen viele bekannte Fotos, die emotional packend und gleichzeitig in technischer Weise unzulänglich sind – was nicht selten mit den Gegebenheiten der Epoche zu tun hat. Man hatte vor Jahrzehnten eben keine hochempfindlichen Filme und Autofokus zur Verfügung. Ich habe mich auf diesem Blog bereits vielfach mit der Sichtweise von „digital natives“ auf die Analogfotografie befasst und immer wieder festgestellt, wie sehr junge Menschen die Imperfektion darin suchen. Das ist nicht verkehrt und führt vielfach zu spielerischen und experimentellen Ergebnissen, die überzeugen und Emotionen auslösen können. Gleichzeitig halte ich es aber für falsch, Anspruchslosigkeit oder fehlende Intention zur Grundlage von Fotografie zu machen – ein Verdacht, der mich in Bezug auf „Neu-Analogiker“ machmal beschleicht. Ich denke, Alex geht es in seinem Video vielmehr darum, dass Technik nicht die „Rettung“ für fehlende Kreativität darstellt. Man kann Stil nicht kaufen. Weder in Form einer neuen Kamera, noch mit digitalen Presets. Man kann Stil allerdings kopieren – dann sehen die eigenen Fotos eben so aus wie von jemand anderem. Wenn man das wirklich möchte.
Ein anderer YouTuber, den ich regelmäßig ansehe, ist der Finne Ari Jaaksi. Auf seinem Kanal Shoot on Film hat er ein paar zutreffende Punkte gesammelt, wann Fotos Emotionen auslösen:
- Weniger sagen/zeigen. Reduktion, Andeutung. Weniger ist mehr. Platz lassen, damit der Betrachter das Bild mit seinen eigenen Assoziationen füllen kann und zum Mit-Gestalter wird
- Das offensichtliche vermeiden, keine Klischees/Postkartenmotive fotografieren
- Nicht zu ernst sein, über sich selbst lachen können, lustige Motive über die der Betrachter schmunzelt
- Kontext erzeugen, kleine Geschichten oder Vermutungen. Reduktion sollte nicht soweit gehen, dass kein Kontext übrig bleibt
Was aus seiner Sicht nicht funktioniert:
- Pure Demonstration einer Technik (Selbstzweck), Zirkusnummer
- Mit dem Foto angeben wollen – in Bezug auf oben genannte Zirkusnummer (ich denke dabei sofort an quietschbunte HDR-Fotos)
- technische Fehler, Überbearbeitung – sonst bleibt das Auge nur daran hängen
Eine Menge Ratschläge von höchster Instanz kann man auf Petapixel finden, die über den ehemaligen Chef der Foto-Agentur Magnum Martin Parr berichten. Der britische Fotograf, der bekannt ist für seine provokanten, humoristischen und bunten Fotos, hat 10 Regeln für angehende Fotografen formuliert:
- Look and learn from other photographers.
- Identify what makes you like their images.
- Find a subject you feel strongly about.
- Select the images you like and understand why they are interesting.
- Do more like that.
- Keep shooting more images.
- Acknowledge you will mainly take failures.
- Get excited by what you have discovered.
- Don’t wish you could be a famous photographer.
- If you do, you will fail — wrong priorities.
Und da wären wir wieder – bei den Prioritäten und Ansprüchen. Und die können noch ganz andere, künstlerische Dimensionen annehmen, wie man beispielsweise an den Werken des Fotografen Markus Kaesler sehen kann. Fernab von technischer Spielerei füllt er seine Bilder mit Emotion und Intention. Dabei entstehen faszinierende, grafische Fotos mit der Lochkamera (between light and shadow), manchmal verliert sich sogar das Motiv komplett, wie in der Serie Vanitas, bei der die Emulsion des Fotos verläuft. Oder er fotografiert gar nicht, sondern stellt Kollagen aus historischen Glasnegativen zu Fotogrammen zusammen (sold memories). Diese Werke haben nichts mit den klassischen Vorstellungen technisch perfekter Fotos gemeinsam, aber sie stecken voller Absicht und Emotion, sie verfolgen höchste Ansprüche.
Auf der Suche nach der ultimativen Checkliste halte ich es zusätzlich für sinnvoll, den Horizont über die Fotografie hinaus zu erweitern. Vom Design-Gott Dieter Rams, der in den 60er/70er Jahren für das coole Bauhaus-Design der Firma Braun verantwortlich war, gibt es 10 Thesen zu gutem Design:
- Gutes Design ist innovativ.
- Gutes Design macht ein Produkt brauchbar.
- Gutes Design ist ästhetisch.
- Gutes Design macht ein Produkt verständlich.
- Gutes Design ist unaufdringlich.
- Gutes Design ist ehrlich.
- Gutes Design ist langlebig.
- Gutes Design ist konsequent bis ins letzte Detail.
- Gutes Design ist umweltfreundlich.
- Gutes Design ist so wenig Design wie möglich.
Daraus können wir wertvolle Rückschlüsse auf die Fotografie ziehen und finden Parallelen zu den weiter oben genannten Maximen. Innovation statt Nachahmung bedeutet die Freude am Experimentieren und die Entwicklung eines eigenen Stils. Vergessen Sie die Ästhetik nicht – was nützt die technisch perfekte Aufnahme mit der tollsten Kamera, wenn das Motiv langweilig ist. Bleiben Sie ehrlich: Der inhärente Wert der Fotografie besteht in der Authentizität – darin unterschied sich die Fotografie stets von der Malerei. Wilde Nachbearbeitungen und KI-Bildchen machen diesen Vorteil zunichte. Gute Fotografie ist so wenig Fotografie wie möglich: So könnte man die letzte These übertragen. In doppeltem Sinn: Es zählt nicht die Masse, sondern die Qualität der Fotos, die wir anfertigen. Und sie sollten nicht einfach nur eine Zirkusnummer sein – das Motiv ist das Motiv. Ich wünsche Ihnen eine schöne Reise!
Den Opener für diesen Artikel habe ich vor Verwendung entstauben müssen. Es ist ein Teil meiner Serie „Hommage to Hockney“, die an die bekannten Polaroid-Kollagen von David Hockney erinnert. Entstanden ist sie Anfang der 2000er in Düsseldorf, mit meiner ersten Digitalkamera.

