Portraitlinse

Welches Objektiv oder welche Brennweite am besten für Portraitfotos geeignet sei, darüber wird gerne diskutiert. Dass es eher nicht die Selfie-Kamera am iPhone ist, darüber sind sich meine Töchter einig. Ich habe ihnen erklärt, warum man auf Selfies oft unvorteilhaft aussieht. Und als blogbetreibender Papa tue ich hier mein bestes, meine Leser am „mansplaining“ teilhaben zu lassen 😉

Bezogen auf die Brennweite ist es ganz einfach so, dass weitwinklige Objektive zu stärkeren Verzerrungen neigen als Tele-Brennweiten. Der Aufnahmeabstand ist bei Selfies nicht besonders groß – dadurch verstärkt sich der Verzerrungseffekt noch weiter. Alles, was nah an der Kamera ist, wird überproportional groß – das, was sich weiter weg befindet, kleiner dargestellt. Daher ist die Nase häufig jenes Körperteil, das auf Selfies am größten und präsentesten wirkt. Für sehr wenige Menschen ist das schmeichelhaft. Wenn man mit derselben Brennweite einen größeren Aufnahmeabstand einhält, verringert sich dieser Effekt, man wird aber auch insgesamt kleiner abgebildet.

Die Tatsache, dass man sich selbst am besten aus dem Spiegel kennt, habe ich schon vielfach erwähnt. Sie führt dazu, dass man ein seitenrichtiges Bild seiner eigenen Person als fremd wahrnimmt – weil es vermeintlich „falsch herum“ aussieht. Einige Smartphone-Hersteller spiegeln daher automatisch Selfies. Das wird dann peinlich, wenn man bedruckte T-Shirts trägt, auf denen die Schrift plötzlich verkehrtherum läuft. Schlechte Beleuchtung und ein Blickwinkel von unten (betont die Nasenlöcher und das Doppelkinn) lassen sich hingegen schnell verbessern.

Zurück zur Brennweite: Ob das Objektiv Personen oder Gegenstände weitwinklig oder eher wie ein Teleobjektiv abbildet, hat auch mit der Größe des Aufnahmemediums zu tun. Die Chips im Smartphone sind winzig (maximal 1″ Diagonale), viele kennen das klassische Kleinbildformat (24x36mm), aber es gibt auch Studiokameras mit 18x24cm großen Negativen. Welche Brennweite „normal“ abbildet, ist vom Aufnahmeformat abhängig. Beim Vollformatsensor sind 50mm Brennweite als „Normalobjektiv“ definiert. Beim kleinen Smartphone-Sensor ist es aber eine deutlich kürzere Brennweite, die „normale“ Fotos macht – weil das Aufnahmeformat so klein ist. Bei der Studiokamera braucht man hingegen viel längere Brennweiten (z.B. 80mm beim 6×6 Format der Hasselblad), um einen normalen Blickwinkel auf das größere Format zu bekommen.

Damit es hier nicht zu technisch wird, vereinfache ich mal: Kurze Brennweiten neigen zu Verzerrungen und bieten ein hohes Maß an Tiefenschärfe (sozusagen das Gegenteil von „Bokeh“). Deshalb ist es bei Smartphones üblich, dass im Porträt-Modus der Hintergrund vom Handy künstlich unscharf gerechnet wird. Die verbaute Brennweite würde sonst alles scharf abbilden. Die eher verzerrende Wirkung kurzer Brennweiten bleibt aber als Problem bestehen. Bei langen Brennweiten ist es hingegen umgekehrt – wenig Verzerrung und wenig Tiefenschärfe. Für Portraitfotos ist eine geringe Tiefenschärfe („Bokeh“) erwünscht, weil es die Person durch Schärfe/Unschärfe vom Hintergrund löst. Eine lange Brennweite kann dies auch ohne Computer-Magie. Das ernüchternde Fazit: Das Smartphone ist mit seinen kurzen Brennweiten schlecht qualifiziert für schöne Portraits.

Andersherum verhält es sich, wenn man ein Aufnahmeformat wählt, das größer als das übliche Kleinbildformat/Vollformatsensor ist. Bei meiner als Reisekamera gekauften Fuji beträgt das Negativformat 4,5x6cm, die Kamera belichtet auf Rollfilm. Das Objektiv hat eine Brennweite von 75mm. Bezogen auf das Negativformat entspricht dies einer Normalbrennweite. Trotzdem handelt es sich aber um ein Objektiv mit relativ langer Brennweite, das deshalb wenig Verzerrungen und viel Bokeh liefert. Ich kann mit dieser Kamera zwar nicht sonderlich gut formatfüllende Headshots fotografieren (dafür fokussiert das Objektiv nicht nah genug), wohl aber klassische Portraits mit etwas Umraum. Dank der längeren Brennweite ist selbst bei Blende 5,6 oder 8 der Schärfeverlauf noch so, dass sich die Person vom Hintergrund abhebt. Ein paar Beispielfotos hänge ich natürlich an – diese sind mit der Fuji 645 Pro auf Ilford HP5 entstanden.

[Das Titelbild habe ich übrigens digital mit der Canon EOS 5D III mit ebenfalls 75mm Brennweite und Blende 5,6 aufgenommen.]

Kategorien Analog, Computer, Fotografie, SpielzeugSchlagwörter , , , , , ,
search previous next tag category expand menu location phone mail time cart zoom edit close